Der richtige Platz im Leben - Weihnachtliche Geschichte Drucken


Voller Bewunderung treffen mich die Blicke. Ein „Ah" und „Oh" dringt an meine Ohren.
Ausrufe wie:
„Schau mal, wie wunderschön“ und „Herrlich, welch´ ein Anblick“ streicheln mein Innerstes. Doch wie weit war mein Weg.
Noch vor einiger Zeit eilten die Menschen stumm an mir vorüber, magnetisch angezogen von blühenden Orchideen, lockenden Veilchen und dem betörenden Düften der Rosen. Selbst unter Meinesgleichen fand ich keine Anerkennung, da trotz gutem Dünger und fachmännischer Pflege einfach keine Knospe wachsen wollte.

„Wer will schon einen Kaktus der nicht blüht?“, dieser Ausruf des Filialleiters des Einkaufszentrums klingt jetzt noch schmerzlich nach.
„Wenn sich bis nächsten Monat nichts tut, kann er seinen Platz für die Steinmännchen räumen!“
„Ach herrje, du armer Kaktus, was machen wir denn nun?“ Mit leicht bekümmertem Gesichtausdruck hob mich Franziska, die Verkäuferin der Gartenabteilung in die Höhe, um mich von allen Seiten ausgiebig zu begutachten.
„Schädlinge sehe ich an dir keine und du stehst voll im Saft, vielleicht brauchst du nur einfach eine andere Gesellschaft“, sinnte sie nach. So fand ich meinen Platz neben einer mexikanischen Figur.
„Sieht gar nicht so schlecht aus, stellte Franzi fest und rückte mich noch etwas näher an meinen neuen Nachbarn, einem Leguan aus Eisen heran. „Echt Handarbeit“ stand auf dem Klebeetikett zu lesen, das an seinem Schwanz befestigt war.
„Echt Naturarbeit“ flüsterte Franziska und zwinkerte mir zu. Doch trotz aller Zuwendung und extra Nebelduschen von meiner Lieblingsverkäuferin Franzi gelang es mir einfach nicht in der vorgegebenen Zeit eine Knospe zu produzieren.
„Morgen ist der Tag und dann lande ich im Biokompost“, durchzuckte mich der Gedanke und unendliche Traurigkeit legte sich über mein Pflanzenherz. Doch plötzlich, kurz vor Verkaufsschluss bahnte sich aufgeregtes Getrappel seinen Weg zu mir und Franziska erschien mit zwei Kindern. Direkt vor mir blieb sie stehen und deutete voller Freude auf mich und sagte:
„Ja, das hier ist er, genau richtig für euer Vorhaben!“ und ehe ich es begreifen konnte passierte ich die Kasse, wurde vorsorglich in Papier eingeschlagen und ganz behutsam, neben anderen Dingen in einem Einkaufskorb verfrachtet. Der Weg schien unendlich zu sein, doch dann war mein neues Ziel erreicht.

Jetzt stehe ich hier in dem hellen Empfangszimmer der Grafikabteilung Pinsel & Herz und ziehe die Aufmerksamkeit auf mich. Aber schaut selbst, was mit Fantasie und Liebe möglich ist. Mehr möchte ich jetzt nicht sagen, denn ich muss mich auf eine juckende Stelle an meiner rechten Seite konzentrieren. Ja, so etwas, ich glaube, da sprießt ein Knospenansatz…

© Heidemarie Andrea Sattler


 
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